Personen

Henriette Hontschik

Henriette Hontschik war meine Urgroßtante väterlicherseits, eine von sechzehn Geschwistern. Sie gehörte zu den Gründerinnen der Frauenbewegung in Österreich in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Sie war für arme und alleinstehende Frauen sozial stark engagiert, kämpfte für das Frauenwahlrecht und gegen jede Diskriminierung der Frau.

Henriette Hontschik (1852-1919)


Der Partezettel von "Henriette Aloisia Philipine Josefine Hontschik, geboren am Samstag, den 28. Februar 1852 um 3/4 auf zwölf in der Nacht; getauft am Donnerstag, den 4. März 1852 um 3 Uhr nachmittags":
Als Bürgerschullehrerin in Brünn (heute Brno, zweitgrößte Stadt Tschechiens) gründete sie dort einen Lesezirkel von Frauen, aus welchem am 31.1.1900 der Verein "Frauenbund" hervorging, der die allgemeinen Grundsätze der fortschrittlichen Frauenbewegung, insbesondere auch das Frauenwahlrecht propagierte. Unter ihrer Leitung wurde ein Kinderhort gegründet, der bald von über 100 Kindern besucht wurde, außerdem war "Armenpflege, Settlement, Rechtsschutz und Waisenpflege" ihr Anliegen. Sie sorgte für den Anschluss des Frauenbundes an den Bund Österreichischer Frauenvereine, wo sie mit Vorträgen und Aufsätzen aktiv war. Fortlaufend berichtete sie von 1906 bis 1910 an die Zeitschrift des Bundes. 1910 musste sie wegen eines Augenleidens die Leitung des Vereins niederlegen und lebte fortan in Graz.

Henriette Hontschik:
Der Frauentitel und sein Werth

In: Dokumente der Frauen

hrsg. von Auguste Fickert, Marie Lang
und Rosa Mayreder; Wien, Band 3, Nr. 4. 1900 
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Eine überraschende, nur zufällig bei einer Suchroutine im Internet gefundene Erwähnung findet Henriette Hontschik in einer Veröffentlichung der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Unter einundzwanzig ausgewählten Eintragungen aus den Gästebüchern der vergangenen vier Jahrhunderte findet sich neben Montesquieu, Gottholf Ephraim Lessing, Ludwig Uhland, Wilhelm Busch, Recha Rothschild sowie Christo und Jeanne-Claude auch ein Eintrag von Henriette Hontschik und ihrer Schwester Leopoldine vom 19. Oktober 1909.
Der Buchbeitrag enthält u.a. auch das Faksimile einer Postkarte (Abbildungen rechts, © Herzog August Bibliothek), die die Schwestern nach ihrem Besuch der Bibliothek in Wolfenbüttel am 20. Oktober 1909 an ihre Mitstreiterin Henriette Herzfelder nach Wien schickten.

"Das reiselustige Schwesternpaar Henriette und Leopoldine Hontschik" In: Hole Rößler und Marie von Lüneburg:  Bitte eintragen! Die Besucherbücher der Herzog August Bibliothek 1667 - 2000. Harrassowitz Verlag, Wolfenbüttel 2021, S. 147-151

Ebenfalls als ein zufälliges Internet-Fundstück finden sich in einem Editionsprojekt der Universität Jena der Online-Briefedition von Ernst Haeckel (1834-1919) zwei Schreiben von Henriette Hontschik vom 6. Dezember 1910 mit einer Nachfrage vom 11. Februar 1911, in denen sie den "hochverehrten Herrn Geheimrat" bittet, sich das "mit Herzblut" geschriebene Werk ihres Vaters Adalbert Hontschik (1813-1896) mit dem Titel "Die Menschenreichkunde" anzuschauen und zu beurteilen.
Voller Bewunderung für Ernst Haeckel, gleichzeitig aber geradezu unterwürfig schreibt sie: "Wohl bin ich dessen bewußt, daß der Stil und Satzbau des Buches schwerfällig und für die meisten Menschen unverständlich ist, doch dem Geistesheros Haeckel nicht! Dieser wird das Verständnis für die Goldader haben, die im tauben Gestein eingebettet ist und mir Hilfe und Rat nicht versagen, was ich beginnen soll."
Mit der ein wenig verrückt anmutenden Diktion: "In mir lebt die unumstößliche Überzeugung, daß nur das in Vaters Werk enthaltene System die Grundlage für ein neues Evangelium der Menschheit bildet. Exz. Herr Geheimrat wollen mir gütigst eine Nachricht zukommen lassen, worauf gläubig harrt Euer Exzellenz hochschätzende Henriette Hontschik, Fachlehrerin i. R." endet ihr Schreiben.
Da sie offensichtlich keine Antwort erhalten hat, fragt sie nach zwei Monaten noch einmal nach: "Da ... ich in dieser Angelegenheit noch keine Verständigung erhielt, so wage ich es inständig zu bitten, mir baldigst gütige Nachricht zu senden, welches Urteil hochverehrter Herr Geheimrat über das Werk meines geliebten Vaters gefällt haben." 

Eine Antwort von Ernst Haeckel ist nicht verzeichnet, und insofern kann man diese beiden Schreiben auch nicht als Briefwechsel bezeichnen, denn die Geschichte endet hier.
1910 erkrankt sie offensichtlich schwer, ein "gefährliches Augenleiden" wird nicht näher bezeichnet. Sie zieht von Brünn nach Graz um. 

"Ein tückisches Geschick in Gestalt eines höchst gefährlichen Augenleidens hat Henriette Hontschik gezwungen, dem geliebten Lehrerberufe, der in ihr eine seltene Charakterbildnerin verliert, zu entsagen, und bei dem Erfordernis absoluter Schonung ist das Fernhalten von allen, naturgemäß mit Unruhe verbundenen sozialen Gegenwartsbestrebungen geboten. Auch räumlich ist sie dem Verein entrückt, da sie Brünn für das mildere Graz vertauscht hat." In: Der Bund, Zentralblatt des Bundes österreichischer Frauenvereine 1908, Heft 3, S. 13

Fortan sind keine weiteren Aktivitäten oder Veröffentlichungen von ihr dokumentiert.
In dem oben erwähnten Brief an Ernst Haeckel vom Dezember 1910 stellt Henriette Hontschik fest, dass sie als Lehrerin "für den Unterhalt [ihrer] Familie zu sorgen hatte". Genaueres über Ihre privaten Verhältnisse ist leider nicht bekannt.
Sie verstirbt in Graz am 18. Oktober 1919 im Alter von 67 Jahren.

Henriette Hontschik ....


- war meine Urgroßtante väterlicherseits

- und spielte eine wichtige Rolle in der österreichischen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert





"Der strenge Unterschied zwischen Frau und Fräulein erscheint sofort in seiner Lächerlichkeit, wenn man denselben per Analogie auf das männliche Geschlecht übertragen wollte. Es gliche gewiss einer Beleidigung, wenn man einen ledigen Mann mit "Herrlein!" anspräche."